Mündliche Anfrage gestellt von Jutta Schmidt-Stanojevic, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur BVV am 26. Februar 2025

Ich frage das Bezirksamt:

  1. Welche Angebote der psychosozialen Versorgung gibt es bei uns im Bezirk für Geflüchtete mit psychischen Erkrankungen?
  2. In welchem Umfang wird bei der Errichtung von Geflüchtetenunterkünften die psychosoziale Versorgung und Betreuung mit eingeplant?
  3. Wie ist die besondere Situation von Kindern und Jugendliche?

Es antwortet Max Kindler,  Bezirksstadtrat, Abt. Jugend, Familie und Gesundheit

zu Frage 1: Welche Angebote der psychosozialen Versorgung gibt es bei uns im Bezirk für Geflüchtete mit psychischen Erkrankungen?

Berlin und seine Bezirke haben nun bereits viele Jahre der Geflüchtetenunterbringung und -versorgung erlebt, weshalb Ihre Frage nach den Versorgungsangeboten im Bezirk tatsächlich weiterhin sehr wichtig ist.

Für die psychotherapeutische und psychiatrische Versorgung von Geflüchteten ergeben sich bekanntlich besondere Herausforderungen. So bedarf es kultur- und traumaadaptierter Behandlungsmodelle, die auf die spezifischen Belastungen von Flüchtlingen eingehen können. Auch auf Seiten der Behandler sind transkulturelle und entsprechende traumatherapeutische Kompetenzen sowie einschlägige Erfahrungen in der Arbeit mit Menschen aus Krisengebieten notwendige Voraussetzungen für eine adäquate Versorgung.

Viele der Menschen, die Flucht-, Trauma- und Verlusterfahrungen erlebt haben, entwickeln auch Folgestörungen. Darüber hinaus können verschiedenste Faktoren diese bereits gemachten Erfahrungen auch im Aufnahmeland negativ beeinflussen, z.B. ein unsicherer Aufenthalt, soziale Isolation, inadäquate Unterbringung oder Sprachbarrieren. Betroffene Menschen haben durch das Erlebte mitunter auch eine sehr eingeschränkte Fähigkeit zur Selbstfürsorge und zum Selbstschutz und sind deshalb als vulnerable Gruppe per se auf Unterstützung angewiesen.

Es steht für Behandlung das Regelsystem zur Verfügung, wobei die Dolmetscherkosten über vielfältige Wege finanziert werden, was manchmal zu Unstimmigkeiten führt. Es gibt jedoch die Integrationslotsinnen der Diakonie für Unterstützung bei der Nutzung von Einrichtungen. Es gibt den Fachbereich 3 des Gesundheitsamtes mit Sozialarbeit, psychotherapeutischer Beratung, ärztlich-psychiatrischer Untersuchung, Gefährdungseinschätzung, Krisenintervention und Beratung und ggf. Einleitung unterstützender Maßnahmen.

Fernerhin gibt es die Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrant_innen e.V. (Oranienstr.159), den Berliner Krisendienst, Mina e.V. (für Menschen mit Behinderung). Die Kontakt- und Beratungsstellen (KBS) halten für Betroffene Angebote für Begegnungen, Aktivitäten und Austausch vor. Menschen mit Fluchterfahrung werden mit fachlich qualifizierter Beratung und verschiedenen Angeboten der Freizeitgestaltung unterstützt.

Die niedrigschwelligen Angebote nach §5 Psych KG (Kontakt- und Beratungsstellen, Alkohol- und Medikamentenberatungsstelle, Zuverdienst) sind Bestandteil der bezirklichen psychiatrischen Pflichtversorgung und stehen auch geflüchteten Menschen mit psychischen Erkrankungen offen.

Zusätzlich zu den PEP-finanzierten Angeboten fördert der Bezirk F-K in 2025 zwei Projekte der psychosozialen Versorgung für Geflüchtete aus dem bezirklichen Integrationsfonds. Seit 2016 gibt es das Peer-to-Peer-Projekt für suchtmittelabhängige Menschen, umgesetzt von vista gGmbH. Im Rahmen des Projektes entwickeln von Sucht betroffene Ehrenamtliche mit Migrationshintergrund niedrigschwellige Materialien für den Einsatz in Substitutionspraxen und allgemeinärztlichen Praxen und unterstützen bei Beratungen und Begleitungen von anderen Klient*innen mit Suchterkrankungen, wodurch ein niedrigschwelliger Zugang zum medizinischen (Suchthilfe-) Versorgungssystem ermöglicht wird.

Bereits in 2023 (Projektlaufzeit 01.04.-31.12.2023) wurde die Mobile psychosoziale Beratung für Geflüchtete Menschen über den Integrationsfonds gefördert (aufsuchende Tätigkeit des mobilen Teams in den bezirklichen Flüchtlingsunterkünften, Vermittlung in bezirkliche Beratungsangebote, Vernetzung mit den bereits bestehenden Psychosozialen Angeboten im Bezirk). Das Projekt wird in 2025 erneut gefördert (Projektlaufzeit 15.02.-31.12.2025) und vom Träger ajb GmbH umgesetzt.

Für 2025 ist zudem die Förderung eines weiteren Projekts über Zuwendungen im Bereich des Partizipationsbüros geplant, dass geflüchtete Menschen im Bezirk an möglichst sozialraumnahe therapeutische Angebote heranführen soll.

zu Frage 2: In welchem Umfang wird bei der Errichtung von Geflüchtetenunterkünften die psychosoziale Versorgung und Betreuung mit eingeplant?

Zum erfragten Umfang kann das Bezirksamt keine Aussage machen. Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) ist verantwortlich für die Erstaufnahmeeinrichtungen und landeseigenen Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete in Berlin. Diese werden in der Regel von Dritten im Auftrag des LAF betrieben. Vertragliche Grundlage ist eine umfangreiche Leistungsbeschreibung, die aufgrund des Leistungsvolumens EU-weit ausgeschrieben wird.

Die psychosoziale Versorgung von Geflüchteten in Berlin wird allgemein durch ein Netzwerk spezialisierter Einrichtungen und Projekte begleitet. Dazu gehören das Zentrum Überleben gGmbH, das medizinische, psychotherapeutische und sozialarbeiterische Unterstützung anbietet. Außerdem arbeiten sowohl XENION Berlin als psychotherapeutische Beratungsstelle für politisch Verfolgte und das Gesundheitszentrum für Flüchtlinge (GZF) eng zusammen. Psychosoziale Erstdiagnostik- & Verweisberatungsstelle (PEV) führt psychiatrische Erstuntersuchungen bei neu in Berlin ankommenden Geflüchteten durch und leitet sie bei Bedarf an geeignete Versorgungseinrichtungen weiter.

Insgesamt zeigt sich, dass Berlin über ein vielfältiges Angebot an psychosozialen Unterstützungsleistungen für Geflüchtete verfügt. Dennoch bestehen weiterhin Herausforderungen, insbesondere in Bezug auf die gleichmäßige Verteilung von Unterkünften und die Integration in das Regelsystem.

Medizinische Einrichtungen zeigen mitunter weniger Bereitschaft, Leistungen ohne Entgelt zu erbringen bzw. aufwendige Abrechnungsverfahren zu bearbeiten. Auch die Clearingstelle stößt bei der medizinischen Einbettung geflüchteter Menschen in das Regelsystem an ihre Grenzen.

Das Bezirksamt Friedrichshain Kreuzberg weißt in den Abstimmungsrunden mit dem LAF stets auf die Wichtigkeit der allgemeinen Gesundheitsversorgung und der psychosozialen Versorgung hin. Dies ist ebenfalls regelmäßig Thema in den Bezirksstadträtesitzungen mit den betroffenen Senatsverwaltungen.

Das Bezirksamt selbst steht im Rahmen der Begehungen vor Eröffnung der Einrichtungen in Kontakt mit den Einrichtungsleitungen/ Trägern und kann so als Ansprechpartner auch auf die verschiedensten Beratungsmöglichkeiten hinweisen. Die mit der Leitung der Einrichtungen betrauten Träger sind zudem im Hilfesystem häufig gut vernetzt.

Die QPK hat die Bedarfe an psychosozialer Beratung und Versorgung angemeldet, als die Nutzung von Flächen in der geplanten Flüchtlingsunterkunft Hasenheide abgefragt wurde.

zu Frage 3: Wie ist die besondere Situation von Kindern und Jugendlichen?

Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Altern werden stets vor Schulbeginn im Kinder- und Jugendgesundheitsdienst (KJGD) des Bezirks untersucht. Bestehen hier anamnestisch Hinweise auf Auffälligkeiten im sozial-emotionalen Bereich bei Kinder und/oder Eltern werden die Familien weitervermittelt, bzw. beraten zu Angeboten, z.B. EFB, SpD, KJPD, SIBUZ, SPZ etc.

Die spezifisch psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung von geflüchteten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 21 Jahren mit psychischen Störungen erfolgt teilweise in den regulären Versorgungsstrukturen des SGB V-Systems und teilweise in Kooperation zwischen KJPD und Jugendhilfe als Psychotherapie nach SGB VIII. Beide Systeme sind im bezirklichen Kontext nicht spezifisch auf die Bedarfe geflüchteter Menschen ausgerichtet und spätestens im Anschluss an die Pandemie über die Belastungsgrenze hinaus beansprucht. Wartezeiten im SGB V System betragen derzeit ca. 6 Monate. Die subsidiäre kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik im KJPD beginnt meist innerhalb von 2-3 Wochen nach Anmeldung und dauert zumeist ca. 2-3 Monate. Allerdings gelingt zurzeit die Weiterleitung in psychotherapeutische und psychiatrische Versorgungsangebote sowohl ins SGB V als auch ins SGB VIII kaum noch. Akutinterventionen leistet der KJPD oder die Klinik für KJPP im Vivantes Klinikum am FH ohne Wartezeiten. Als weitere Beratungsstelle bei Suizidalität und psychischen Belastungen bietet der Träger „Neuhland“ eine Sprechstunde in Friedrichshain-Kreuzberg an. Weiterführende psychosoziale Versorgungsangebote speziell für geflüchtete Minderjährige und junge Erwachsene werden nicht über Gesundheit sondern laut Berliner Geschäftsverteilungsplan von den für Jugend und Bildung zuständigen Verwaltungen geplant und gesteuert. Überregional hat der Träger „Xenion“ mit Sen BJF einen Trägervertrag zur Diagnostik und Kurzzeitintervention bei geflüchteten traumatisierten Minderjährigen, ist aber wie das ganze System nicht mehr in der Lage, die Anfragen zu bearbeiten. Im Transitionsbereich bietet „Soulspace“ Beratung für Menschen ab 15 Jahren an, leitet aber Menschen ab dem 18. Lebensjahr nur in Fällen von psychotischen Erkrankungen und schweren Depressionen in die kooperierende Psychiatrische Institutsambulanz des Klinikums am Urban über, so dass der überwiegende Teil der dort beratenen Menschen keine Anschlussbetreuung über „Soulspace“ erhalten kann.

Im Bereich Gesundheit sind die bezirklichen Psychiatriekoordinationen vorrangig für die Planung und Steuerung der Angebote des Psychiatrieentwicklungsprogramms zuständig, von dem Minderjährige explizit ausgenommen sind. Kinder und Jugendliche mit psychischen Störungen werden somit aus den Planungsstrukturen ausgeschlossen, obwohl das PsychKG Berlin eine umfassende Versorgung für alle psychisch erkrankten Personen vorsieht. Als einziges systematisch in allen Bezirken vorgehaltenes niedrigschwelliges Beratungs- und Unterstützungsangebot für psychisch erkrankte Minderjährige und ihre Familien sehen sich die Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienste der Berliner Gesundheitsämter mit massiv gestiegenen Hilfebedarfen konfrontiert, die im Rahmen der ihnen derzeit zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht abgedeckt werden können. Gleichzeitig scheinen die KJPDs derzeit die einzigen Versorgungsangebote zu sein, die gleichermaßen mit den Strukturen des Gesundheitswesens wie mit denen der Jugendhilfe und des Bildungswesens vertraut sind. Daraus resultiert, dass die KJPDs auch noch Ressourcen, welche eigentlich in die Versorgung der minderjährigen Patienten fließen sollten, in die Unterstützung der Planung und Steuerung der gemeindeintegrierten Versorgung investieren müssen. Die spezifische Versorgung geflüchteter Minderjähriger mit psychischen Störungen ist aufgrund dieser Situation nur ein Teilaspekt des Aufgabenfeldes.

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